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05.07.2021

Chernobyl. Oder auch: Selbstverschuldete Schlafstörungen

Ich versuche mich ja meist (wenn ich tatsächlich mal eine Serie konzentriert schauen und nicht nur als Hintergrundbeschallung nutzen will) vom Fernsehprogramm fernzuhalten. Hauptsächlich weil ich meistens die deutsche Synchro nicht mag und vor allem weil mich die Werbepausen alle 5 Minuten in den Wahnsinn treiben, wenn ich nicht grade Werbepausen-Wordsprints versuche... ;-)

Aber manchmal bleibt man halt doch auch schon mal hängen - so geschehen bei Chernobyl, das ich eigentlich sowieso sehen wollte, aber keine Lust hatte Amazon noch mehr Geld dafür in den Rachen zu werfen. Da ergab es sich gut, dass das Privatfernsehen zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe die Serie eingekauft hatte.

Ein schlaues Video habe ich aber leider diesmal nicht gefunden - ein lustiges sowieso nicht - daher muss es für heute der langweilige Trailer tun. Contentwarnungen für Krankheit, Tod und all das natürlich.


Ich gestehe ja, dass ich die Serie vor allem deswegen sehen wollte, weil ich seit ewigen Zeiten das Sachbuch dazu auf meiner Audible Liste hatte - und wie auch bei anderen Buchadaptionen empfiehlt es sich meistens das Buch erst nach dem Film zu lesen, sonst ärgert man sich nur. ;-)

Tatsächlich konnte ich mich also einigermaßen unbehelligt von jeglichem Fachwissen unterhalten lassen - ich war im Kindergarten damals, also habe ich auch kaum "Zeitzeugen" Erinnerungen, außer, dass irgendwann der Sandkasten neu befüllt wurde und wir keine Brombeeren vom Feld mehr essen durften.

Was das generelle Gefühl von Schock & Fassungslosigkeit angeht, macht die Serie auch viel sehr gut - ich habe rausgefunden, dass mir tatsächlich schlecht wird, wenn Menschen im Fernsehen kotzen, also sollte euch das auch so gehen, könnten die ersten beiden Folgen hart sein. Außerdem kann es zu Schlafstörungen führen, wenn man zu lange darüber nachdenkt, dass man in der direkten Nachbarschaft zu einem "Problemreaktor" wohnt. Und ich musste die Szenen überspringen, in denen sie die Haustiere erschießen, auch da würde ich das Streaming (oder die Aufnahme in dem Fall) sehr empfehlen. Nur weil es zum grim realism gehört, muss man sich das nicht alles und nicht alles auf einmal geben. 

An sich hatte ich aber mit dem unbeschönigten Blick auf Systemversagen kein Problem - ich hatte auch nicht das Gefühl, dass hier sehr oft und viel darauf herumgeritten wird, dass das ja nur an den bösen Roten lag, überraschend für eine amerikanische Produktion. Man nenne mich zynisch, aber politisches Totalversagen traue ich jeder Regierung zu, egal wie sie zustande kommt. ;-)

Mein einziger Kritikpunkt wäre, dass mir unser Hauptprotagonist sehr lange als aufrechter "Wissenschaftler gegen die verblendeten Mächtigen" Kämpfer gegen das unbewegliche System präsentiert wird. Das stimmt scheinbar nicht so ganz mit den historischen Gegebenheiten überein - die kleine 80er Jahre Plattenbau-Wohnung, in der unser Held ein einsames Ende findet, passt nicht so ganz zu meinem Sachbuch, dass von einer Villa spricht, in der der Gute regelmäßig Dinnerparties mit seiner Frau gegeben hat. Aber da ich in meiner Unterhaltung bekanntlicherweise nicht nach historischen Wahrheiten suche, hätte ich das vielleicht sogr noch übersehen, nur macht die Serie auch in-time zum Ende hin einen sehr merkwürdigen Turn. 

(Hier wäre der Spoiler Ausgang, aber es ist nicht wirklich ein großer Spoiler...)

*Nachdem* unser aufrechter Wissenschaftsheld seine flammende Rede zur Lage der sowjetischen Nuklearforschung gehalten hat, sperren sie ihn mit dem KGB Menschen in einen Raum, der dann den im Zusammenhang sehr merkwürdigen Monolog bekommt "Wir wissen ja, dass sie nicht mutig sind, sie biedern sich seit Jahren bei der Partei an und haben dafür auch schon jüdische Kollegen denunziert".

Und ich so...NACHDEM er quasi schon ein Staatsverräter ist, kommt ihr mir mit "Wir wissen sie sind nicht mutig"? Ist das nicht...offensichtlich absurd? 

Abgesehen davon, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass KGB Leute wirklich so dumm sind, dass sie nicht wissen, dass es den Charakter eines Menschen und seine Überzeugungen verändern kann, wenn man nichts mehr zu verlieren hat (Strahlenkrankheit hallo?), wäre es mir auch lieber gewesen wir hätten in der Serie irgendwann mal gesehen, dass der Gute eigentlich ein braver Speichellecker war, anstatt es so in einem Nebensatz in der letzten Folge nur erzählt zu bekommen.

Für mich fühlte sich diese apropos of nothing Rede ein wenig so an, wie ein Disclaimer der Serienmacher "Wir haben den Typen zwar zu unserer heldenhaften Hauptfigur gemacht, aber wir wollten noch kurz erwähnen, dass er hochgradig problematisch war, bevor irgendwer loszieht und Fanforen eröffnet".

Vielleicht ist das ein böses Vorurteil meinerseits, aber es hat mich arg irritiert.^^

Mehr als 1 Punkt würde ich dafür allerdings nicht abziehen, denn bis zu den letzten 10 Minuten der letzten Folge war ja alles in Ordnung - man sollte eben nur im Hinterkopf behalten, dass sich die Realität nicht an narrative Konventionen hält und Helden und Bösewichte meistens nicht so einfach voneinander trennbar sind, wie bei Disney. 4 von 5 Bleiwesten sind da schon gerechtfertigt.

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