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21.11.2015

Listening to: The Creation of Anne Boleyn

Ich gebe es zu, ich suche immer noch nach einer Anne Boleyn Biographie, die mich nicht enttäuscht zurücklässt, was die "objektive" Betrachtungsweise angeht. Es scheint, dass manche historische Figuren einfach so tief in einer Art von "Kulturkampf" eingebettet sind, dass es schwierig ist - oder sich wenige Autoren die Mühe machen - Fakten und Propaganda zu unterscheiden.
Bei den Borgias ist das ähnlich, aber da hatte ich ja bekanntlich früh das Glück über eine wirklich ausgewogene Betrachtungsweise zu stolpern.

Bei Queen Anne suche ich noch danach, aber habe mit The Creation of Anne Boleyn von Susan Bordo zumindest eine interessante Alternative gefunden: Eine kulturhistoirsche Analyse warum es so schwierig ist in diesem Fall eine unvoreingenommene Darstellung zu finden.


Zunächst muss ich darauf hinweisen, dass man hier keine klassische Biographie findet - Kulturhistorie beschäftigt sich traditionell weniger mit dem Leben historischer Figuren, als eher mit ihrem "Vermächtnis", den Legenden, Archetypen und Feindbildern, die man so aus ihnen konstruiert hat und dem Warum & Wozu.
Daher finden sich hier auch nur in Teil 1 von 3 ein paar biographische Hinweise und auch dafür sollte man zumindest mit der grundlegenden "Story" vertraut sein - oder mal The Tudors gesehen haben.;-)
Teile 2 und 3 gehen dann nahtlos über zu Büchern, Theaterstücken, Serien und Filmen und wie sich die Darstellung und "Rezeption" der geköpften Königin mit den Jahrhunderten verändert, welche Einflüsse Victorianismus, Feminismum, freie Liebe und Neo-Konservatismus so auf unsere Vorstellungen von Tudor England nehmen und welche Autoren sich welcher Sichtweise verschreiben.

Das kann man total langweilig finden, aber ich finde es ziemlich großartig. Bis irgendjemand mal eine Zeitmaschine erfindet - und vermutlich nicht mal dann - werden wir manche Dinge und Zusammenhänge einfach nicht zu 100% sicher rekonstruieren können und was das angeht ist diese Art von "Konstruktionsgeschichte" auch eine nette Übung in Skeptizismus - wie ich schon sagte, man sollte nicht immer alles glauben was man liest, ist tatsächlich auch einer der Überschriften in diesem Buch.;-)

Überhaupt konnte ich mich sehr mit den Einstellungen der Autorin zu vielen Aspekten der Anne Boleyn Geschichte identifizieren: Wir teilen eine gewisse Faszination für diese ganze "doomed Love" Geschichte, die unbeantwortete Frage wie eine Beziehung, die sich Jahrelang "unerfüllt" hinzieht so endgültig auseinanderbrechen kann. Dazu gemischt werden so viele Melodrama Aspekte - die unglückliche Ehe & die andere Frau im Gegensatz von braver Hausfrau und freidenkerischer Mätresse - und politische Entwicklungen - Protestantismus, Absolutismus, die Gegensatz von Kirche und König - das man am Ende gar icht mehr weiß, wo die Biographie aufhört und die Legendenbildung anfängt.
Außerdem ist der Autorin und mir gemeinsam, dass wir und als Feministinnen sehen und einen vagen Impuls daraus ableiten eine "unkonventinelle" Königin vor dem unfairen, misogynen Urteil ihrer Zeitgenossen rechtfertigen zu müssen - klingt albern, ist aber so.;-)

Ich habe jedenfalls viel aus diesem Buch mitgenommen, auch wenn mir eine Biographie, die denselben Ansatz der Fakten und Legendentrennung unternimmt, immer noch fehlt. Unter anderem habe ich mir Anne of the Thousand Days noch einmal angesehen und kann mit einer neuen Sichtweise tatsächlich die Faszination der Autorin ein wenig nachvollziehen. Außerdem teilen wir die pathologische Abneigung gegen Philippa Gregory (aka "Alles in meinen Büchern ist die Wahrheit und wo sie es nicht ist, sollte sie es sein"^^) und The Other Bolyen Girl - ich war schon vorher überzeugt, dass dieser Film medioker ist, auch ohne die furchtbare Vergewaltigung historischer Fakten, aber es hat mich doch einigermaßen enttäuscht, dass die Darsteller des Films (von denen ich zumindest Natalie Portman und Scralett Johanson durchaus mag) sich ehrlich dazu bekennen sich nicht mit den historischen Figuren beschäftigt zu haben, die sie darstellen, weil "Historiker sind sich ja eh nie einig, also ist das ja egal". Ähm ja. I beg to differ and so does the author of this book.;-)

Ich könnte noch 100 andere Dinge erzählen, die ich interessant fand, aber das will vermutlich keiner mehr lesen, also sei noch kurz darauf hingewiesen, dass die Sprecherin des Hörbuchs auch einen sehr guten Job macht, bevor ich meine unvermeidbaren 5 von 5 Perlenketten vergebe.
Ein guter Kandidat für mein Sachbuch des Jahres, auch wenn das Cover ein wenig merkwürdig aussieht...;-)

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