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13.09.2024

The Wonder. Oder auch: Warum Katholiken so gute Bösewichte sind

Dieser Film war ein Zufallsfund und ich gebe zu, dass ich vor allem deswegen auf Play geklickt habe, weil die Worte Florence Pugh und irische Landschaften vorkamen - also keinerlei Aussage über den Film an sich, aber Kostümfilm mit Landscape Porn, was kann da schief gehen?

Naja, man kann sich ein wenig über den seelenzersetzenden Einfluss von Religion auf die Geschichte der Menschheit aufregen, aber bevor wir dazu kommen, worum geht es eigentlich in The Wonder?


Ich war relativ schnell überzeugt, dass "Kind weigert sich zu Essen, weil religiöses Wunder" zu spezifisch ist, um nicht auf einer historischen Begebenheit zu beruhen und scheinbar ist das auch so. Also ob es in diesem speziellen Fall mit dem abgelegenen, irischen Dorf und der Krankenschwester so war, weiß ich nicht, aber es gab laut Wikipedia zu viktorianischen Zeiten gleich mehrere "fasting girls" - scheint eine weibliche Tugend zu sein^^ - von denen mindestens eines auch in ein Krankenhaus zur Beobachtung eingeliefert wurde und dann dort starb, weil die Eltern sich weigerten das "Wunder" durch Zwangsernährung zu unterbinden. Man überlegt, ob es sich um reiligiös befeuerte Essstörungen handelte blabla, Ferndiagnosen über mehrere Jahrunderte und so.

Wie man jetzt zu Zwangsernährung steht, ist eine andere Geschichte, die der Film auch aufgreift - ich musste da allerdings kurz den Ton ausmachen, denn für mich war das persönlich ein wenig viel, die content Warnung für medical horror sei hiermit ausgesprochen - aber anders als die Menschen im Film, waren die Zeitgenossen der Eltern zumindest der Meinung, dass sie wegen Kindesvernachlässigung angeklagt und verurteilt werden sollten.

The Wonder geht einen anderen Weg und das in verschiedener Hinsicht, angefangen damit, dass wir eine "Rahmenhandlung" einfügen, die uns zunächst das Set zeigt und im Voice Over erklärt, dass es sich hier um eine Geschichte handelt, in der alle Beteiligten von ihrer Version der Wahrheit überzeugt sind. Ich muss sagen, mir haben sich die philosophischen Nuancen dieses Rahmens nicht so richtig erschlossen, aber ich glaube ich habe noch nie einen Film gesehen, in dem soviel Zeit darauf verwendet wird, schweigenden Menschen beim Essen zuzusehen - und diese Thematik zumindest ist ja nun offensichtlich. ;-)

Die Bilder und Dialoge sind also großteilig schlicht, aber wirkungsvoll und die Landschaft ist tatsächlich so ein eigener Akteur, der die Abgeschlossenheit dieser Gemeinde und der Familie noch unterstreicht. Ich habe nur 2 Beschwerden, die ich mal so wenig spoilerich wie möglich vorzutragen versuche. ;-)

1. Die "Romance" war weird. Ein bisschen Entspannungssex hätte glaube ich jede/r der armen Krankenschwester gegönnt, nachdem sie sich den ganzen Tag mit religiösen Hardlinern und Aberglauben rumschlagen muss, aber dass dann daraus in der Power-Fantasy des Films am Ende so ein Happy Family Szenario wird, kam mir ein wenig zu kurz. Vielleicht bin ich zynischere Weltsichten gewöhnt (hallo Alias Grace;-), aber das Happy End hätte für mich ein wenig mehr Screentime zur Vorbereitung bekommen können.

2. Mussten wir dringend noch den Kindesmissbrauch-Inzest mitnehmen? Als wäre die ganze Familienkonstellation nicht schon bleak und deprimierend genug? Ich gehe mal nicht ins Detail, weil es eben auch nur eine Fußnote in der Gesamtkonstruktion ist, aber grade deswegen hätte ich dieses zusätzliche Trauma jetzt nicht noch gebraucht. If you know, you know und vielleicht ist es wieder mal ein Ich-Problem, aber ich hätte jetzt auf diesen zusätzlichen Sargnagel für die Stimmung verzichten können.

Ansonsten lässt sich festhalten, dass Vertreter von Religion - und an vorderster Front Katholiken, weil die eben noch den Pomp und Circumstance mitbringen - einfach ziemlich gute Bösewichte abgeben, auch wenn ich positiv erwähnen muss, dass die Nonne in der Geschichte tatsächlich die besseren Aspekte (Seelsorge etc.) des Vereins darstellen darf. Ansonsten habe ich von dem Film bekommen was ich wollte: Florence Pugh ist wie immer großartig und das Landscape Porn zufriedenstellend.

Ein Feel-Good-Film für den Popcornabend ist es aber nun nicht gerade und der filmische Meta-Rahmen erschloss sich mir nicht - er hat mich aber auch nicht gestört, von daher sind 4 von 5 Heiligenquartettkarten sicherlich gerechtfertigt.

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