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15.04.2015

Check your Priviledge (Wochengedanke IX)

Disclaimer: Diese Annekdötchen sind kurz zusammengebastelt und sollen/können keine erschöpfende Darstellung von irgendwas sein! Anregungen, Kritik und eigene Erfahrungen gerne in die Kommentare.

Manchmal steck ja die Mittagspause voller unerwarteter Lernmomente - ok, meistens nicht, aber letzte Woche hatte ich so einen kleinen Aha-Moment, das soll man ja wertschätzen!;-)

Und das kam so:
Der Spiegel hatte in der letzten Woche einen Artikel im Unterbereich "Stil" (den ich normalerweise nicht konsumiere, aber das ist eine andere Geschichte;-), in dem sich eine Schreiberin darüber beschwerte, dass sie als "Frau mit Kurzhaarschnitt" immer noch lästigen Vorurteilen und Klischees unterworfen wird.
Ich hatte die Überschrift zwar wahrgenommen, aber das Thema interessierte mich jetzt nicht so sehr - bis mir eine Kollegin erzählte wie sehr sie sich da wiedergefunden hat. Nun hat besagte Kollegin heute lange Haare, aber ich war einigermaßen schockiert darüber, dass sie sich eigentlich nur deswegen zu einer anderen Haarlänge entschieden hat, weil ihr die dummen Sprüche und Beleidigungen ihrer Umwelt so sehr auf die Nerven gingen.


Meine erste Reaktion war: "Ach echt? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das heute immer noch so ein Problem ist..." Und dann habe ich darüber nochmal kurz nachgedacht und festgestellt, dass das eventuell daran liegt, dass ich nie kurze Haare hatte. Ich war also nie in der Position mir dumme Sprüche über Kampflesben oder "freche Jungsschnitte" anhören zu müssen, und ich wäre auch nie auf die Idee gekommen jemandem wegen seiner Frisurwahl irgendwas zu unterstellen. Und schon habe ich mir einfach nicht vorstellen können, dass es "sowas heutzutage noch gibt".


Man mag das jetzt für eine Bagatelle halten, aber für mich war das ein guter Reminder wie privilegiertes Denken funktioniert - meine Frisurwahl entspricht (zufällig) dem herrschenden Ideal für Frauen und daher hatte ich nie Probleme deswegen. Also nahm ich an, es sei genauso Problemlos eine Frisur zu haben, die nicht dem gängigen Ideal entspricht. Und das nicht, weil ich ignorant sein wollte, sondern weil ich von meinen Erfahrungen auf die Erfahrungen anderer geschlossen habe.

Check your Privilege kennt man ja sonst eher aus "ernsten" Disskussionen über Menschenrechte, Rassismus usw., aber ich denke man kann da auch ruhig mal kleiner anfangen. Ich habe scheinbar Langhaar-Privilege, meine Frisur führt nicht dazu, dass über meine sexuelle Orientierung oder meine Charaktereigenschaften, oder meine "innere Agenda", oder meinen Beziehungsstatus gemutmaßt wird - zumindest nicht in meiner Gegenwart. Ich habe auch viele andere Privilegien: Ich bin nicht wirklich arm oder arbeitslos, also unterstellt man mir nicht im Leben "versagt zu haben", ich bin nicht so übergewichtig, dass Menschen mir Beleidigungen auf offener Straße hinterherbrüllen, mein Gesundheitszustand ist gut genug, dass ich mir nicht anhören muss ich "solle mich nicht so anstellen", ich leide nicht an einer psychischen Störung, mein Hirn kann also auf Krisen in einer Weise reagieren, die als "normal" empfunden wird und ich werde auch nicht wegen meiner Hautfarbe oder Religion beschimpft oder unter Generalverdacht gestellt.


Alle diese Privilegien habe ich mir nicht aktiv ausgesucht und würde sie gerne an diejenigen weitergeben, die in ihrem Alltag mit diesen Vorurteilen und Beleidigungen konfrontiert werden. Da ich das aber nicht kann, denke ich, es ist ein guter Anfang sich ab und zu mal daran zu erinnern, dass von sich auf andere zu schließen, zwar vielleicht nachvollziehbar, aber nicht unbedingt schlau ist.

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