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08.12.2023

Cinderella is Dead. Oder auch: 1x Special One Trope auf über 9000

Ich erwähnte ja schon, dass meine Medienauswahl zum Herbstanfang nicht besonders gut war und dieses Buch gehörte leider dazu - es lag so lange auf meinem Stapel, vielleicht war die Erwartungshaltung einfach größer, als ich gedacht hatte, aber Cinderella Is Dead von Kalynn Bayron ist eines der wenigen Bücher der letzten Jahre, die mich wirklich geärgert haben.

Bevor es aber noch kryptischer negativ wird, worum geht es überhaupt?

It's 200 years since Cinderella found her prince, but the fairytale is over.

Sophia knows the story though, off by heart. Because every girl has to recite it daily, from when she's tiny until the night she's sent to the royal ball for choosing. And every girl knows that she has only one chance. For the lives of those not chosen by a man at the ball . are forfeit.

But Sophia doesn't want to be chosen - she's in love with her best friend, Erin, and hates the idea of being traded like cattle. And when Sophia's night at the ball goes horribly wrong, she must run for her life. Alone and terrified, she finds herself hiding in Cinderella's tomb. And there she meets someone who will show her that she has the power to remake her world .

An electrifying twist on the classic fairytale that will inspire girls to break out of limiting stereotypes and follow their dreams!

Zumindest die Prämisse sollte ja aus dem Cover und dem Klappentext klar werden. Wir befinden uns hier in einer Art dystopischer Hyper-Mega-Patriachat, in dem die Cinderella-Geschichte (genauer, die Disney Version davon, die Originalgeschichte hat wenig mit dem Buch zu tun) hauptsächlich ein Vorwand ist Frauen wie Vieh auf einen Ball zu treiben und an den Meistbietenden zu verscherbeln. Und unsere Heldin findet das doof.

Soweit so verständlich, aber in den ersten paar Seiten fing für mich das wütende Grummeln in meinem Hinterkopf schon an und das hat sowohl "in-time", als auch "out-time" Gründe. Ich werde also im Folgenden ein wenig motzen, wer das nicht lesen will, weil er das Buch unvoreingenommen lesen möchte - oder mochte, das ist völlig ok, Kunst ist subjektiv! - der lässt diese Rezi besser aus, denn ich komme erst ganz am Ende noch zu ein paar Dingen, die ich tatsächlich gut fand. You have been warned! ;-)

1. Die in-time Welt des Buches

Mein größtes Problem mit Sophia als Heldin ist, dass sie völlig aus der Welt des Buches herausfällt. Die Geschichte präsentiert uns ein seit 200 jahren bestehendes, brutales System politischer Unterdrückung, durch das sich Sophia bewegt wie ein 21. Jahrhundert Teenager aus New York, die für ihre ständigen aufmüpfigen Kommentare nicht mehr zu befürchten hat, als dass ihre Freunde in der Schule, oder Leute im Internet gemein zu ihr sein könnten.

Ihre Freunde und Familie flehen sie quasi die ersten 50 Seiten konstant an endlich die Klappe zu halten, weil sie sich selbst und alle im sie herum in Gefahr bringt, aber die wedelt das ab mit "die sind ja nur durch das System dazu erzogen worden". 

Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Ja, und warum bist du das nicht?! Wir erfahren es nicht, denn die Autorin hat keinerlei Interesse an der Backstory ihrer Heldin. Wir erfahren igendwann um Seite 80 herum, dass ihre Oma wohl auch eine kleine Revoluzzerin war und ihr viele der "das ist alles total unfair!" Ideen eingepflanzt hat - bis sie von der Märchen-Gestapo verschleppt und getötet wurde. Aber diese Geschichte bleibt völlig ohne emotionalen impact, Sophia erzählt sie eigentlich nur, um zu begründen, warum ihr Vater so ein Feigling ist, der sich weigert zu seiner Tochter und ihren radikalen Ideen zu stehen.

Im Laufe der Geschichte lernen wir außerdem, dass Cinderellas Geschichte falsch erzählt wurde, ihre Stiefmutter und Schwestern eigentlich total nett zu ihr waren und den fiesen Prinzen eigentlich umbringen wollten. Ok, fein, allerdings nimmt diese Version der Story Cinderella ihren einzigen Akt der Rebellion (auf den Ball zu gehen, Liebe zu finden außerhalb ihrer missbräuchlichen Familie und ein eigenes Leben aufzubauen) weg und macht es zu "sie wurde gehirngewaschen von der bösen Fee". Fand ich nicht wirklich cool am Ende, weil es die Geschichte weiterhin in Böse und Gut teilt, nur die Rollen vertauscht.

Diese schwarz-weiß Zeichnung wird gleich im zweiten Punkt nochmal wichtig, aber was mir im Kontext der Geschichte den Rest gegeben hat, war die Tatsache, dass wir irgendwann den echten Revolutionären Untergrund kennenlernen. Angeführt von einer Frau mit der Ausbildung, der emotionalen Backstory und dem generationsübergrifenden Trauma, das völlig plausibel macht warum sie eine Revolution anführen kann und will - nur dass sie dazu Sophia braucht, weil die so furchtbar special ist, dass es keinen Unterschied macht, dass sie nichts kann und ihre persönliche Feindschaft mit dem König hauptsächlich darin besteht, dass der grausame Diktator sich immer dann völlig dämlich verhält, wenn der Plot das braucht. Und da kommen wir dann zu meinem eigentlichen Problem mit dem Buch.

2. In der realen Welt weitergedacht

Sophia ist offensichtlich eine auf über 9000 aufgedrehte Power-Fantasie für Mädchen - fein, damit habe ich an sich kein Problem, genausowenig wie mit der Message des Buches, dass Patriachat unfair ist. Darüber brauchen wir nicht disskutieren. Aber ich finde einiges an der Umsetzung sehr fragwürdig:

  • Müssen wir Teenagern wirklich so eine holzhammerige Message ohne jede Nuance präsentieren, in einer Geschichte, in der Plot, Worldbuilding und Charaktere eigentlich nur Pappaufsteller sind? Kann man jungen Menschen vielleicht ein wenig mehr zutrauen, als klischeehafte schwarz-weiß gezeichnete Figuren, für deren Backstory und Motivationen sich die Geschichte nur alibimäßig interessiert?
  • Müssen wir Teenagern wirklich beibringen, dass "sei einfach du selbst" die einzig relevante Lebensmaxime ist und es ok ist Menschen Vorwürfe dafür zu machen wie sie mit ihrer Unterdrückung umgehen? Das scheint mir sehr emphatielos, ich möchte eigentlich lieber keine Generation von Tick-Tock-Teens sehen, die Frauen in brutalen Regimen mit dieser Art von #firstworldproblems Arroganz entgegentreten...?
  •  Und müssen wir Teenagern wirklich beibringen, dass eine Frau, die sich für Liebe, Ehe und Familie entscheidet (wir Cinderella im Original) quasi gehirngewaschen sein muss? Diese Art von Alice Schwarzer Feminismus stößt mir sauer auf. Eine Hausfrau und Mutter (und Königin in dem Beispiel, aber das nur am Rande^^) hat nicht den Feminismus verraten, können wir uns einfach darauf einigen, dass wir alle leben können sollten, wie wir wollen, damnit?!

Ich könnte noch 50.000 Zeilen Groll anfügen, über Plotdinge, Charakterdinge und fehlendes Worldbuilding, aber lasse das mal so stehen. Unterm Strich fand ich es schade, dass das Buch so von seiner Holzhammer-Message erschlagen wird, so sehr ich ihr auch zustimmen mag, denn der Schreibstil zeigt, dass die Autorin schon formulieren kann und das Pacing war auch angenehm. Viele der gerade spezifisch queeren Themen wurden zudem auch mit mehr Emphatie verpackt, als das Level 5000 Patriachat, das heißt auch da könnte die Autorin das vermutlich und hat sich nur gegen Nuancen an allen anderen Stellen entschieden.

Am Ende des Tages bin ich nicht die Zielgruppe dieser "Tick-Tock-Sensation" und wenn das Buch tatäshlich queeren, schwarzen und allen anderen Mädchen Empowerment bringt, dann gibt es schlimmeres, als dass ich die Geschichte in die das verpackt war, nicht mochte, bzw. sie nicht gut zuende gedacht fand.

Aber in meiner keinen Internet-Ecke kann ich mir für ein paar nette Ideen und Formulierungen nur 2 von 5 Glasschuhen abringen, denn ich muss meine abgenutzten Nerven irgendwo gegenrechnen. ;-)

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