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20.07.2018

The Alienist. Oder: Dialogführung für Anfänger

Sooo, 'was kukst du grade bei Netflix' hat auch mal wieder eine Serie ergeben, die der Mann und ich gemeinsam angefangen haben - also eigentlich haben wir sie auch zusammen Zuende gesehen (die verfügbare erste Staffel zumindest), aber ich glaube das lag vor allem an meiner leicht zwanghaften Kompulsion angefangene Dinge Zuende zu bringen...und vielleicht ein wenig mehr Hoffnung meinerseits, dass der Plot die Story rausreißt...

Anyway, das klingt jetzt schon so kryptisch negativ, da fangen wir nochmal von vorne an und halten fest: The Alienist hatte zum Zeitpunkt als wir sie gesehen haben, beinahe die vollen 5 Sterne in der Netflix Wertung. Von uns kriegt sie vielleicht die Hälfte und zu erklären wieso wird zumindest leichte Spoiler nötig machen. Ich habe euch gewarnt.;-)


1. Setting a Story
Der Ehemann bezeichnete die Serie nach den ersten paar Folgen als Vanity Piece für jemanden, der den Look und das Gefühl der R.D.J. Sherlock Holmes Filme mochte und daraus eine Art Viktorianisches Criminal Minds basteln wollte, mit Indianern, Self-Made Millionaires und Armenvierteln und Freiheitsstatue statt London Fog, Masterminds und Freimaurern.
Der Alienist ist also quasi der Vorläufer des Profilers und die geniale, aber schrullige Sherlock-Variante, sein bester Freund fungiert als Watson-Figur und Stichwortgeber und dann haben wir noch eine moderne Frau, die die üblichen "Keine Lust auf traditionelle Frauenrolle, will Karriere machen, aber Männer nehmen mich nicht ernst" Tropes abarbeiten kann. Irene Adler gefiel mir besser, aber alleine für die Kostüme hätte ich die Rolle angenommen.;-)
Als Grundkonflikt haben wir dann natürlich den Ermittler vs Serienkiller Effekt, garniert mit dem zusätzlichen Korrupte Cops vs ein neuer visionärer Sheriff Problem.
Originalität wird stark überbewertet, daher habe ich das Vanity Piece bis dahin gar nicht so furchtbar übel genommen, wenn die Drehbuchschreiber das mit dem Plot und der Story besser hinbekommen würden - die Charakterentwicklung in den Hauptplot einzubinden ist an sich zwar eine gute Idee, aber nur wenn es auch Sinn macht...ich gehe mal ins Detail, falls man noch aussteigen will.;-)

2. Dialogführung und wie man es nicht macht
Die Drehbuchschreiber haben sich mit ihen Figuren und deren Entwicklungsbögen nicht wirklich hohe Hürden gesetzt - der sozial unfähige 'Wissenschaftler' (dazu gleich) muss lernen Gefühle zu haben, der ständig betrunkene 'Lebemann' muss über seine Verflossene hinweg kommen und einen Sinn in seinem Leben finden und 'die Frau' muss ihren Platz in dem Sausagefest ihrer gewählten Karriere durchsetzen.
Umso merkwürdiger ist es daher, dass das nicht so richtig gut funktioniert und die Charaktere oft flach und unüberzeugend wirken - und da alle gecasteten Schauspieler ihr Geld wert sind, kann ich das nur darauf zurückführen, dass diese Serie leider ab und zu wirklich schlecht geschrieben ist, grade und vor allem was ihre Diaologe angeht. Und das ist ein wenig tragisch, weil wenn sich deine Charaktere in den Dialogen nicht zeigen, wo dann?
Ich zeige das mal an einem Dialog in einer der ersten Folgen (paraphrasiert, wir habens auf Englisch gekukt) zwischen Miss Howart und dem Doktor:
Sie: Das Verschwinden einer Leiche aus der Polizeileichenhalle deutet auf Korruption direkt in der Dienststelle hin.
Er: Ein Zeichen dafür wie isoliert unser Freund der Sheriff ist, wenn nichtmal seine eigenen Leute ihm gehorchen.
Sie: Es gibt Menschen, die sich mit allen Mitteln gegen die Moderne wehren, weswegen ihre Methoden so umstritten sind.
Er: Vordenker werden immer umstritten sein, wir müssen beweisen, dass wir Recht haben.
Hätte man mir diesen Dialog als Beta vorgelegt, hätte ich ihn dem Schreiberling um die Ohren gehauen (konstruktiv und freundlich natürlich;-P), denn hier sollen lahmarschig mehrere Dinge getan werden, die aber inhaltlich nichts miteinander zu tun haben:
1. Es soll etabliert werden, dass die Cops korrupt sind und die Protagonisten davon wissen. Soweit ok.
2. Wir halten fest, dass die Unterstützung des neuen Sheriff nicht so wertvoll ist, wie zuerst gedacht. Auch gut.
3. Wir wollen mal zeigen, dass unser Protagonist ein total moderner Typ ist und deswegen isoliert und abgelehnt.
3.a. Wir wollen noch kurz andeuten, dass die Frau das leicht scharf findet.
Dummerweise hat aber die Korruption der Polizei nichts, gar nichts, üüüüberhaupt nichts damit zu tun, was sie über ihn und seine Methoden denken. Diese beiden Dinge werden hier in einen Topf geworfen, was diesen Dialog merkwürdig apropos of nothing wirken lässt - warum das so ist mag evt. nicht so auffallen, wenn man nicht darauf trainert ist auf solche Dinge zu achten, aber der Effekt ist spürbar und es ist leider nicht das einzige Beispiel.

2.a. Szenenentwicklung
Eine andere Schwäche der Drehbuchschreiber, wenn es dazu kommt wann Charaktere was sagen, ist dass sie oft kein Gefühl dafür haben wann eine Szene anfangen und enden soll. In einer späteren Folge konfrontiert der Doktor einen Bischof auf dem Hof seiner Schule, sie haben ein Gespräch über Fallbezogene Dinge (ich versuche mal nicht so viel zu spoilern;-), dann gibt es einen Cut ins Innere der Kirche und sie unterhalten sich über den Sinn und Unsinn von Psychologie und darüber was unser Protagonist über Gott denkt - und dann hat er noch einen Heureka Moment beim Anblick des Kirchenkalenders.
Auch hier wieder dasselbe Problem: Warum sollten sich diese beiden Menschen, die sich offensichtlich nicht mögen und nicht viel zu sagen haben, nach Abschluss der Fallbezogenen Dinge noch weiter unterhalten und dazu sogar noch woanders hingehen?
Weil du als Autor noch eben zeigen willst, was dein Protagonist über Religion denkt und weil du das Innere der Kirche brauchst, um den Heureka Moment zu provozieren - aus keinem! anderen! Grund!
Das ist handwerklich wirklich wirklich nicht gut, sorry...

3. Meet Dr. Laszlo Cooper
Das war jetzt schon ziemlich lang, aber zwei kürzere Peeves hab' ich noch und wir fangen mit Hero-Bashing an, weil ich an dem Antagonisten ausnahmsweise mal wenig auszusetzen habe - er kommt einfach nicht wirklich vor, das hilft. Daniel Brühl spielt seinen Proto-Profiler als eine Mischung aus Freud und Dr. Sheldon Cooper, keinerlei Einsicht oder Rücksicht auf menschliche Gefühle, genial, schrullig und ein Arschloch vor dem Herrn (außer dass er Religion ja nicht mag;-).
Das Problem was ich damit habe ist aber leider Folgendes: Sheldon Cooper ist Physiker und dann auch noch theoretischer Physiker - also mit Theoremen beschäftigt, bei denen man entweder richtig oder falsch liegen kann und die so komplex sind, dass sie nicht wirklich zur Lebensrealität der meisten Menschen gehören; was den Narzismus und den Gott-Komplex erklärt, mit denen er sich über die weniger Klugen erhebt und auch die Realitätsferne in seinen Beziehungen.
Montiert man diese Persönlichkeitsprofile aber auf einen Psychiater - also jemand, dessen täglich Brot es ist in der schlammigen Pfütze der menschlichen Psyche zu fischen -  wirft das für mich einige Fragen auf. Klar, auch Psychologen und Psychiater können vermutlich anti-soziale Arschlöcher sein, aber so unreflektierte "warum hassen mich denn immer nur alle, wenn ich scheiße zu ihnen bin" Unfähigkeit wirkt merkwürdig bei jemandem, der angeblich so genial in seinem Fachgebiet ist. Ganz abgesehen davon, dass es bis Folge 7 von 10 oder so braucht, bis ihm mal jemand sagt, dass er von anderen immer Dinge verlangt, die er für sich selbst ablehnt und das irgendwie unfair ist. Ihm war das bis dahin nicht so aufgefallen, mir schon, ich hatte da schon 20x den Fernseher angemotzt...;-)
Entweder ist unser SherlockCooper also überfordert damit zu verstehen wie Menschen ticken, was mich an seiner Fachkompetenz dann doch irgendwie zweifeln lässt, oder ein so unrettbarer Egomane, dass ich mich frage warum er überhaupt Freunde hat, die er vergraulen kann...? Das hier ist keine "Ups-Egal, weil Witzig" Comedy, daher brauchte ich da ein wenig Begründung, die ich bei BBT vielleicht nicht vorraussetze.

4. Motivationslöcher - minor Spoiler notwenig
Die Sache mit den Korrupten Cops und ihrer Einstellung zu SherlockCooper ist leider nicht nur im Dialog eine halbgare Mischung. Der Polizeiapparat - in Verbindung mit dem Ex-Sheriff - verbringt die ganze Staffel damit in zunehmend brutaler und offensichtlicher Weise unsere Protagonistengruppe zu behindern. Bis zur Hälfte der Staffel wird das damit gerechtfertigt, dass ein angeblich Hauptverdächtiger ein Spross der Oberen 400 ist, die als unantastbar gelten. Auch diesen Subplot hätte ich dem Drehbuchschreiber gerne hinterhergeworfen, denn a) SherlockCooper geht eigentlich schon von Anfang an davon aus, dass ein reiches Muttersöhnchen nicht der Täter ist, was das "wir müssen sie von einer Spur abbringen, die sie überhaupt nicht verfolgen wollen" Motivationsloch aufreißt. Und b) unsere Polizeischergen sind so unfassbar inkompetent und dumm, dass sie Reiches Muttersöhnchen zur Mitte der Staffel hin erschießen...Was diesen ganzen Handlungsstrang im A Whole Lotta Nowhere auslaufen lässt.
Ironischerweise werden die Schergen danach aber immer noch brutaler und offensichtlicher, bringen Leute um, betäuben alle 20Sekunden jemanden mit Chloroform, kidnappen Menschen auf offener Straße, was das Super-Schwellige-Inkompetenz-Moment verstärkt. Und warum? Weil "diese modernen Methoden sich nicht gegen gute Polizeiarbeit durchsetzen dürfen"...Öhm...hä...?
Hätte mir dieses Drehbuch also in der Beta vorgelegen, hätte mein Kommentar in etwa so ausgesehen:
1. Warum brauchen deine fiesen "Retardierendes-Moment-Schergen" gleich 2 unausgegorene Motivationen? Tut's nicht auch eine?
2. Wenn wir das reiche Muttersöhnchen mal ersatzlos streichen und Motivation 2 zum Alleinherrscher erheben, haben wir auch etwas dass sich direkt gegen unseren Protagonisten richtet* - allerdings wäre es dann notwendig die Polizeischergen weniger tollpatischig und strohdumm zu machen und sie irgendwann mal dabei zu zeigen, dass sie tatsächlich irgendwas! gegen! den! Mörder! unternehmen!, statt nur die Ermittlungen der anderen zu sabotieren, denn ansonsten wirkt das mit der Verteidigung Guter Polizeiarbeit unfreiwillig ironisch, bis lächerlich.

Unterm Strich vergebe ich also 2 Punkte für eine gute Idee und einen halben Gummipunkt für die haarscharfe Vermeidung einer langweiligen Dreiecksbeziehung, was dann die 2,5 von 5 Telegraphen vom Anfang erklärt...wenn man denn bis hierher durchgehalten hat!;-)

*Wenn wir dann noch den Dialog aus dem Beispiel oben so anpassen, dass sie die Theorie entwickeln, dass die Korrupten Cops sie behindern wollen aus persönlicher Antipathie zu unserem Protagonisten, weil er so ein moderner Vordenker ist und bla, hätten wir 2 Baustellen auf einmal beseitigt. So geht gute Beta-Arbeit.;-)

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