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31.05.2024

Wifedom. Oder auch: Die Quellenkritik zu feminist rage Pipeline

Ein weiteres Buch meiner Women's Prize Long-List lag in der Post und wie vielleicht schon der Titel, das Cover, oder überhaupt alles daran verraten, befinden wir uns hier in einem leicht anderen "Genre" von Biographie.

Bevor wir aber dazu kommen, worum geht es ungefähr in Wifedom: Mrs Orwell’s Invisible Life geschrieben von Anna Funder?

Looking for wonder and some reprieve from the everyday, Anna Funder slips into the pages of her hero George Orwell. As she watches him create his writing self, she tries to remember her own . . .

When she uncovers his forgotten wife, it's a revelation. Eileen O'Shaughnessy's literary brilliance shaped Orwell's work and her practical nous saved his life. But why - and how - was she written out of the story?

Using newly discovered letters from Eileen to her best friend, Funder recreates the Orwells' marriage, through the Spanish Civil War and WW II in London. As she rolls up the screen concealing Orwell's private life she is led to question what it takes to be a writer - and what it is to be a wife.

Compelling and utterly original,
Wifedom speaks to the unsung work of women everywhere today, while offering a breathtakingly intimate view of one of the most important literary marriages of the 20th century. It is a book that speaks to our present moment as much as it illuminates the past.


Wir können einfach mal festhalten, dass das Cover ein Gesamkkunstwerk ist, ich nehme keine Fragen zu diesem Thema entgegen. ;-) Das Backcover zeigt übrigens das eigentliche Foto von Mrs. Orwell und dass sie nur auf der Rückseite der Medaille genau zu sehen ist, fasst natürlich auch die These des Buches hervorragend zusammen.

Es gibt verschiedene Ansätze sich einer biographischen Erzählung zu nähern - meistens ist es eher die historische Alltagskost einer chronologischen Aufarbeitung, woran ja nichts auszusetzen ist. Und dann gibt es die kulturell-philosophischen Ansätze einer Creation of Anne Boleyn, die weniger an einer linearen Lebensnacherzählung interessiert sind, sondern eher daran, wie wir unser Bild von historischen Figuren konstruieren - oder in diesem Fall, wie es "gelingt" manche Figuren einfach aus dem Bild herauszudividieren. Wir beschäftigen uns also in diesem Buch fast genausolange mit dem persönlichen Zugang der Autorin zum Thema, der Aufarbeitung von Vorgänger-Biographien und fiktionalen Einschüben zu Was Wäre Wenn Überlegungen. Dieser Ansatz von Biographie ist also eher daran itneressiert uns etwas über die Beziehung historischer Personen und unseren Umgang mit ihnen zu unserer Lebensrealität zu erzählen - in diesem Fall über die vielen Segnungen des Patriachats und dem "Legendenkult", der gerade den genialen Männern der Geschichte zuteil wird.

Wer also seine Sachbücher mit möglichst wenig feminist rage mag, sollte das hier vielleicht auslassen. ;-) Wobei das durchaus ein Ich-Problem sein kann, die Autorin selbst bemüht sich meistens noch darauf hinzuweisen, dass sie durchaus ein Fan von Orwells Werk ist. Für alle anderen könnte es also durchaus erhellend sein, vor allem der Aspekt des "was bedeutet es Autor zu sein und was Ehefrau" - und es schadet auch nicht, dass die Autorin auch Fiktion schreibt, auch wenn es sicher auch Menschen gibt, die diese fiktionalen Szenen in historischen Sachbüchern nicht mögen. Ich persönlich finde sie ok, solange sie gut geschrieben sind und eindeutig gekennzeichnet, was hier der Fall ist.

Und zuletzt hat das Buch vor allem deswegen einen dicken Stein in meinem persönlichen Brett, weil es en Detail demonstriert wie man bei der Quellenkritik vorgehen sollte - und wo es selbst Historikern manchmal hapert, wenn sie Eigenzeugnisse (der heilige Gral der Historienforschung, I get it...) mit verlässlichen Quellen verwechseln. Weil wir ja alle immer zu 100% ehrlich über uns selbst sprechen, vor allem wenn es darum geht der Nachwelt etwas zu hinterlassen, oder?! ;-)

Während man also den Eindruck gewinnen kann, dass Orwell vor allem eine Ehefrau wollte, weil er es sich nicht leisten konnte eine Haushälterin, Lektorin, Sekretärin & Krankenschwester zu bezahlen, fokussiert sich diese Erzählung darauf was "die andere Seite der Medaille" sich von diesem Arrangement wohl versprochen hat. Und spätestens in dieser Betrachtung kann man zumindest ein paar interessante Denkansätze mitnehmen, was unseren Umgang mit den "Genies" der Weltgeschichte angeht, wie weit wir bereit sind unseren Helden unbesehen zu glauben, welche Einschränkungen in unserer Weltsicht wir vielleicht selbst oft mit uns herumschleppen und welche Menschen wir vielleicht in unserem Leben zu selbstverständlich hinnehmen.

Wenn man dafür keine 5 von 5 Zigarettenetuis vergeben muss, dann weiß ich es auch nicht?

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