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12.03.2021

The Hours. Oder auch: Wo ist der Rest vom Buch?

Ich bin ja eigentlich einer von diesen Menschen, die instantly skeptisch werden, wenn irgendein Buch irgendwelche hochfliegenden Preise gewonnen hat - der kleine Anarchist in meinem Kopf schwenkt dann immer sein Prätentiöse Kunstkacke Plakat...;-) - und es gibt sicherlich viel zu sagen über die Probleme mit Preisverleihungen, wer da wo wann die völlig willkürlichen Entscheidungen trifft was Kunst ist und was weg kann etc etc. Ich glaube, wir haben das in Bezug auf die Oscars immer öfter gesehen in den letzten Jahren und daher will ich einfach mal nicht soweit ausholen. Sinn der Einleitung ist nur: Ohne die #SundayLitChats hätte ich dieses Buch vermutlich nicht angefasst und das wäre an sich auch ein wenig schade gewesen, denn dann könnten wir jetzt nicht darüber reden no? ;-)

Worum geht es also in The Hours von Michael Cunningham mit dem fetten Pulitzer Prize Sticker drauf?


Three separate women, living in different locations and eras, are linked by their passion for Virginia Woolf's novel Mrs Dalloway. As they each live through a Tuesday in June, their thoughts and experiences mirror each other and become interwoven.

In Richmond in 1923, Virginia Woolf struggles to write a novel whose protagonist is Mrs Dalloway. In Los Angeles in 1949, Laura ignores her chores and small son to sit in bed reading Mrs Dalloway. In 1990s New York, Clarissa goes to buy flowers for a party, mirroring the start of the fictional Mrs Dalloway’s day. The party is in honour of her sick friend Richard, who long ago dubbed her Mrs Dalloway.

As their stories intertwine, they converge to become one, weaving together themes of story-telling, domestic tension, friendship, love, loss, parental guilt, loneliness, bisexuality and the challenges of hosting social rituals.

Erstmal muss ich gestehen, dass der Klappentext sehr viel besser ist, als ich ihn hingekriegt hätte. Ich war bei sowas wie: Eine Frau kauft Blumen, bis ihr Freund sich umbringt, eine lädt ihre Schwester zum Tee ein bevor sie sich umbringt und eine Frau fährt in ein Hotel, um ein Buch zu lesen und dann vergisst der Autor uns den Rest ihrer Geschichte zu erzählen...

Aber dazu gleich!;-) 

1. Schöne Worte ohne viel Kontext

Ich will nicht die ganze Zeit kryptisch negativ klingen in dieser Review, ich habe das Buch schon auch bis fast zum Ende hin sehr gerne gelesen, aber es ist diese Art von Literary Fiction, die wirklich wirklich wirklich darauf bestehen will, dass eigentlich nichts passiert (eine Frau kauft Blumen und kommt an einem Filmset vorbei ist die Handlungszusammenfassung der ersten...50? Seiten) aber auch das trivialste Ding in schöne Worte gepackt werden muss.

Hier gibt es keine Sätze wie "Sie ging die Straße hinunter und kaufte einen Strauß Blumen", sondern jeder Sinneseindruck erzählt irgendwas über den Sand, den sie als Kind zwischen den Zehen hatte, oder die Vergänglichkeit von Schönheit, weil sie den Star am Filmset nicht erkannt hat. Wie gesagt, das ist keine inheränte Kritik, aber man sollte wissen worauf man sich einlässt. ;-)

2. Contentwarnung!

Dafür, dass das Buch mit dem Selbstmord von Virginia Woolf im PROLOG beginnt, hat mir dieser Punkt im Klappentext iiirgendwie gefehlt. Also ja, es geht auch um sozialen Druck, Gendernormen und Bisexualität, aber es geht vor allem um Selbstmord und Charaktere, die entweder darüber nachdenken sich umzubringen oder es tatsächlich tun. Außerdem um das Begränis eines toten Vogels, also wer auch keine sterbenden Tiere in seinen Geschichten mag, sollte auch da vielleicht ein Kapitel überspringen - die schönen Worte mit wenig Kontext machen auch dann noch Sinn.

3. Wo ist der Rest von dem Buch?

Mein milde fasziniertes Interesse an diesen drei Frauenfiguren, die der Autor sich als Protagonistinnen - oder zumindest als Denkvehikel für seine Streams of Consciousness - gewählt hat, hat mich also eigentlich ganz gut durch dieses fast schon zu gewollt plotlose Buch getragen. Aber irgendwann haben wir den Punkt erreicht, in dem wir plötzlich in eine 4. Perspektive springen - nicht dass die anderen Abschnitte nicht konstantes Headhopping betreiben, aber das war die einzige Szene in der plötzlich keine unserer Hauptfiguren mehr anwesend war - und ein Lunchdate zwischen der Partnerin von Clarissa und einem Filmstar gezeigt bekommen, kurz bevor die Handlung dann willkürlich zum "ok hier ist das Ende" springt.

Diese Szene erschließt sich mir nicht, vielleicht bin ich zu dumm, aber weil gleichzeitig Lauras Geschichte an einem völlig willkürlichen Punkt abbricht - sie denkt darüber nach, dass sie nicht mit ihrem Typen ins Bett will, Schnitt zu 40 Jahre später^^ - hat mich das ein wenig genervt.

Ich will keine bösen Vorurteile dreschen, aber ich erlebe das oft beim Schreiben, dass ich Szenen abbreche oder nur kurz anreiße, die eigentlich wichtig wären und dann entweder selber, oder spätestens nach dem Beta Feedback (denn es fällt immer auf!) drau komme, dass ich entweder

a) mich nicht getraut habe in die volle Charakterperspektive einzusteigen

Und/Oder

b) Sorge hatte, dass wenn ich das tue, die Konsequenz sein wird, dass der emotionale Fallout die Geschichte für die nächsten 100 Seiten aus der Bahn wirft und ich 5 Kapitel mehr brauche, um das wieder aufzusammeln.

Das wäre hier definitiv auch passiert, aber der Autor hat sich entschieden die interessanteste Geschichte einfach nicht zu erzählen - vielleicht weil er wusste, dass sie sein ganzes Buch kapern und die Story mit Clarissa und ihren Blumen und dem blösen Lunchdate zu unwichtigen Nebenschauplätzen degradieren würde. Aber weißt du was? Fuck it! Ich wollte das trotzdem lesen!

So bleibt der "Reveal" (ich spoilere mal nicht, das Buch ist ja nicht so lang geworden^^) am Ende für mich völlig auf der Strecke, weil er dieses "oh ja, ich muss euch noch in 2 Sätzen die spannenden Dinge erzählen, die in den 40 Jahren passiert sind, die ich mir geschenkt habe zu zeigen" irgendwie normal findet scheinbar...ich nicht so...

Merke also, ich habe kein Problem mit "Kunst", ich lasse mich nur nicht gerne abspeisen mit schönen Worten, weil jemand zu feige war die eigentlich interessante Geschichte zu erzählen.

3 von 5 Hotelschlüsseln gebe ich ihm aber noch für die schönen Worte, die ich mochte - wie immer nur meine Leseerfahrung, eure kann radikal anders sein, man muss es eben immer ausprobieren.:-)

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